Nachhaltigkeit in der Finanzwirtschaft
Kaum ein Phänomen hat sich in jüngster Zeit so oft in unser Bewusstsein gedrängt wie der Begriff der Nachhaltigkeit. Ob in der Politik, in den Medien oder in der allgemeinen Wahrnehmung – das Prinzip der Nachhaltigkeit hat spätestens mit der Fridays for Future-Bewegung und Greta ein plakatives Gesicht bekommen. Dabei ist Nachhaltigkeit alles andere als ein Begriff unserer Zeit. Bereits im 18. Jahrhundert wurde er in der Forstwirtschaft angewandt und beschreibt die Maxime, dass lediglich so viele Bäume geschlagen werden dürfen wie nachwachsen. Heute ist der Begriff mannigfaltiger. Er beschreibt u.a. eine verantwortungsbewusste Art des Wirtschaftens, bei der die negativen Auswirkungen des Handelnden auf die Natur und das Ökosystem minimiert und dem Verursacher in Rechnung gestellt werden sollen. Auch gesellschaftliche und ethische Komponenten sind Bestandteil der Nachhaltigkeit und sollen mit ökologischer Verantwortung und sozialer Gerechtigkeit im Einklang sein. Wir beobachten einen Megatrend, der einen langfristigen und strukturellen Wandel in allen Lebensbereichen zur Folge haben wird.
Die Grundmaxime der Ökonomie
Im Jahr 2050 werden wir laut Prognosen der Vereinten Nationen 9,7 Milliarden Menschen sein – das wären ca. 2 Milliarden Menschen mehr als heute – eine extreme Herausforderung für Umwelt und Klima. Experten zufolge stehen uns Wetterextreme, Hunger, Migration und entsprechende Rückkopplungseffekte bevor, wenn die Erkenntnisse und Empfehlungen des Pariser Klimaabkommens ignoriert werden.
Mit diesen Prognosen ist Nachhaltigkeit alles andere als ein reiner Selbstzweck. Sie wird zur existentiellen, aber auch zur wirtschafltichen Notwendigkeit, um dem Kalkül des sinnvollen Umgangs mit knappen Ressourcen gerecht zu werden. Im Umkehrschluss werden Unternehmen, die sich aktiv mit den notwendigen Anpassungen wie dem Klimaschutz und dem nachhaltigen Wirtschaften auseinandersetzen honoriert. Das bekannteste Beispiel hierfür ist der Emissionshandel als marktwirtschaftliches Instrument.
Der Handel mit CO2-Zertifikaten
Das Prinzip ist denkbar einfach: Der Staat beziehungsweise die EU regeln, welche Gesamtmenge an Treibhausgasen emissionshandelspflichtige Anlagen in einem bestimmten Zeitraum ausstoßen dürfen. Die Treibhausgas-Emissionen werden dabei auf eine Gesamtmenge begrenzt und in Form handelbarer Rechte (Berechtigungen) ausgegeben. Wer die Luft mit Treibhausgasen belastet, benötigt hierzu Rechte. Je weniger Emissionen, desto wirtschaftlicher also für ein Unternehmen. Ein Zertifikat gibt dem Inhaber das Recht zur Emission von einer Tonne Kohlendioxid (CO2). Mit diesen Berechtigungen können Unternehmen handeln und Vorteile in Form von Arbitragemöglichkeiten erzielen.
So werden bereits heute CO2-Zertifakte als neue Leitwährung der nachhaltigen Wirtschaft deklariert. Denn egal ob Schweinebäuche, Aktien, Rohstoffe oder CO2 – sie sind alle Spekulationsobjekte, die an der Börse gehandelt werden und Vermögensobjekte darstellen. So werden weltweit jährlich Emissionsrechte für 144 Milliarden Dollar umgesetzt. Nach einer Studie der Investmentbank Goldman Sachs wären die Kosten für die Verschmutzungsrechte eines globalen CO2-Handels schon bei einem Preis von 50 Dollar je Tonne CO2 höher als die Gewinne aller weltweit börsennotierten Unternehmen. Heute liegt der Preis pro Tonne bereits bei umgerechnet 29 Dollar. Ein riesiger Markt für CO2-Zertifikate ist entstanden und deutet darauf hin, dass nachhaltiges Wirtschaften definitiv kein Hype, sondern ein Zukunftsmarkt ist.
Die Bedeutung der Nachhaltigkeit für die Finanzwirtschaft
Im Finanzwesen beschränkt sich das Thema Nachhaltigkeit nicht nur auf den Handel mit CO2-Zertifikaten. Seit der BaFin Konferenz „Nachhaltige Finanzwirtschaft“ im Mai dieses Jahres hat das Thema für Finanzdienstleister auch aus der regulatorischen Perspektive eine besondere Bedeutung bekommen, die mit klaren Anforderungen und Erwartungshaltungen von Seiten der Aufsicht einhergeht. Klar ist: Was vor wenigen Jahren noch ein Nischenthema war, ist heute in aller Munde und wird Banken und Versicherungen in den kommenden Jahren intensiv beschäftigen.
Banken und Versicherungen im Zugzwang
Klimatische, ökologische und soziale Veränderungen bergen materielle Risiken. Diese haben für den allgemeinen Finanzmarkt und ihre Akteure gravierende Folgen. Die BaFin als Regulierungsbehörde setzt hier ein klares Zeichen, dass Risiken, die mit spürbaren ökologischen und klimatischen Veränderungen einhergehen von den beaufsichtigten Finanzmarktakteuren explizit im Risikomanagement zu berücksichtigen sind – und zwar bindend! Nicht nur von Seiten der Aufsicht, auch auf europäischer und nationaler Ebene werden Nachhaltigkeitsgesichtspunkte zunehmend spürbarer in die Gesetzgebung fließen.
Ob höhere Transparenzpflichten in der Anlageberatung von Banken oder der Nachweis der Nachhaltigkeit von Finanzprodukten – mit den gesetzlichen Auflagen werden beispielsweise Kapitalverwaltungsgesellschaften und andere Finanzinstitute angehalten darüber zu informieren, wie Nachhaltigkeitskriterien im Investmentprozess Anwendung finden. Aber auch auf der gesamten Unternehmensebene gilt es Nachhaltigkeitsaspekte zu berücksichtigen. So müssen die Institute ihre strategische Ausrichtung, ihre Aufbau- und Ablauforganisation, das Risikomanagementsystem und ihre Kommunikation nach innen und außen gemäß den Nachhaltigkeitskriterien überprüfen. Für Banken wird die Umsetzung der strikten Richtlinien eine besondere Herausforderung darstellen.
„Es liegt an den Kreditinstituten, die Chancen (der Nachhaltigkeit) zu erkennen und sich mit ihren Geschäftsmodellen und Strukturen darauf einzustellen. Institute, die sich nicht anpassen, werden langfristig vielleicht keine Investoren, Kunden und keine jungen und motivierten Mitarbeiter mehr finden.“
Raimund Röseler Exekutivdirektor Bankenaufsicht, BaFin
Auch in der Versicherungsbranche werden sich spürbare Veränderungen bemerkbar machen. Versicherer übernehmen als Risikoträger, Risikomanager und Investoren eine wichtige Rolle in der Wirtschaft und im Finanzmarktsystem. Sie werden von der Aufsicht und dem Gesetzgeber in die Pflicht genommen, sowohl die Finanzierung der Nachhaltigkeitsprojekte (bspw. Energiewende, Pariser Klimaschutzziele, etc.) zu unterstützen als auch die Risikobewertung der Umwelt- und Klimaveränderungen adäquat anzupassen.
Folglich werden wir in den nächsten Jahren einen Trend beobachten, dass zunehmend mehr Spielregeln im Finanzsystem nach dem Primat der Nachhaltigkeit etabliert werden. Ein langfristiger Prozess, der nicht nur die Beherrschung der Risiken, sondern auch neue Chancen für Wachstum und Effizienz im Fokus hat.
Die Folgen für die Finanzwirtschaft
Die Gesetzgeber (EU und nationale Regierungen) sehen es als Aufgabe der Wirtschaft, dass Risiken und Chancen der Nachhaltigkeit durch die Akteure wahrgenommen und umgesetzt werden. Mit ihrer gesetzgebenden Gewalt werden sie zunehmend die Rahmenbedingungen für nachhaltiges Wirtschaften anpassen, um eine Adaption sicherzustellen. Auch Finanzdienstleister werden in Zukunft ihr Risiko- und Geschäftsmodell diesen Regeln anpassen und neue Wege für den Umgang mit Risiken und Chancen suchen müssen. Ob in der Umsetzung und Einhaltung von regulatorischen Richtlinien oder in der Entwicklung neuer Finanzprodukte (CO2-Handel, nachhaltige Investmentprodukte, etc.), die Wirkungen der Nachhaltigkeit werden langfristige Folgen für das Finanzsystem haben. Die operative Umsetzung und regulatorische Konformität werden signifikante Treiber sein, die den Erfolg der langfristigen Nachhaltigkeitsstrategie prägen werden. Nachhaltigkeit wird entsprechend als strategischer Treiber in die Geschäftspolitik integriert werden.
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