Interview | Instant Payment – ein Ansatz für Europa

Leben wir bald in einer bargeldlosen Gesellschaft? Auf dem BITKOM Kongress im Juni diskutierten Vertreter der Branche die aktuellen Entwicklungen im Bereich Zahlungsverkehr. Med Ridha Ben Naceur, Principal Consultant bei GFT, sprach über Mobile Payment und den Person-to-Person (P2P) Ansatz Jiffy. Und er ging noch einen ganzen Schritt weiter: Europa, so Ben Naceur, braucht eine standardisierte Instant Payment Lösung. Im Interview erzählt er, was es damit auf sich hat und wie es um die bargeldlose Gesellschaft bestellt ist.

Med Ridha Ben Naceur, Principal Consultant, GFT
Med Ridha Ben Naceur, Principal Consultant, GFT

Das Thema Mobile Payment ist in aller Munde, im Vortrag sprichst Du aber von einer Weiterentwicklung: Instant Payment. Was genau können wir uns darunter vorstellen?

Med Ridha: Instant Payment heißt im Grunde genommen, dass ich als Privatkunde, als Verbraucher, in die Lage versetzt werde, eine eilige Überweisung unkompliziert anzustoßen. Sprich: ich überweise dir heute Geld, sei es über mein Smartphone oder via Online-Banking oder auch direkt am Schalter bei meiner Bank und es wird nicht ein, zwei Tage oder bis zum Abend dauern, bis der Betrag ankommt. Das Geld wird deinem Konto in Echtzeit gutgeschrieben. Bei unserer Lösung Jiffy, die wir gemeinsam mit SIA in Italien entwickelt haben, handelt es sich um P2P-Zahlungen. Bei dieser Real-time Lösung werden die Zahlungen über die bereits vorhandenen Bankkonten der Kunden und basierend auf SEPA-Standards abgewickelt. Basierend wiederum auf Jiffy haben wir eine Idee bzw. einen Ansatz für Instant Payment entwickelt. Bei diesem Ansatz sprechen wir darüber hinaus nicht nur über Instant, Mobile oder präzise P2P Payments, wir sprechen über Mehrwertdienste, erweiterte Dienste. Und wir brauchen vor allem einen standardisierten Ansatz für ganz Europa. Diesen Voraussetzungen wird unser Ansatz mit dem Konstrukt Service- und Clearing-Layer gerecht.

Was genau versteckt sich hinter den beiden Begriffen Service- und Clearing-Layer?

Med Ridha: Der Service-Layer ist sozusagen das Bindeglied zwischen allen teilnehmenden Parteien in einem Mobile Payment und Mehrwertdienste Ökosystem. Hierfür brauchen wir eine einheitliche Plattform. Um einen ganz bildlichen Vergleich zu nennen: Nehmen wir ein Haus, in dem verschiedenste Parteien untergebracht sind; ein Arzt, ein Bäcker, Herr Müller als Privatperson, usw. In diesem Multicenter hat jeder Zugang zu jedem. Der Bäcker erhält die Information über die Anzahl der Diabetiker wie Herr Müller (anonymisiert) und kann entsprechend die Herstellung der diabetesgerechten Süßstückchen anpassen, sodass auf der einen Seite die Kunden bedient werden können, auf der anderen Seite aber keine Überproduktion entsteht. Der Service-Layer integriert also verschiedenste Dienste für verschiedenste Parteien: für Händler, Banken, Behörden… Ein Beispiel für erweiterte Dienste und das Zusammenspiel der verschieden Parteien wäre der neue Personalausweis: der Digitale Personalausweis (die Digitale ID). Die Bank sieht: Der Kunde hat einen Antrag über das Internet gestellt und kann dessen Angaben gleich bei E-Government prüfen. Stimmen die Angaben, wie Alter und Anschrift, erfolgt automatisch die Legitimation. Es geht eben nicht mehr nur um die „Digital Wallet“, sondern vielmehr um das „Digital Life“. Wir brauchen ein Bündel von Diensten, nicht einen separierten Dienst. Das heißt nicht, dass es einen Service-Layer gibt, der praktisch für jeden Dienst eine App zur Verfügung stellt. Es kann ruhig mehrere Anbieter geben, aber die Plattform an sich muss möglichst einheitlich und gut zugänglich sein.

Der Clearing-Layer betreibt eine einheitliche Clearing-Plattform für Zahlungen aus dem Online und Mobile Bereich. Ein Ansatz hierfür wäre das Clearing SEPA-Überweisungen, der bereits europaweit umgesetzt ist. Wenn wir über Instant Payment sprechen, muss das Clearing auch in Echtzeit erfolgen. Hierin liegt aus meiner Sicht die Herausforderung aber auch gleichzeitig der Vorteil eines Service-Layers.

Vom Digital Wallet also zum Digital Life: Es ist gerade Mal einen Monat her, dass der BITKOM die ersten Ergebnisse einer Umfrage zum Zahlungsverkehr veröffentlicht hat – mehr als ein Drittel der Deutschen könnte sich vorstellen, Alltagssituationen ohne Bargeld zu bewältigen. Trotzdem scheint die bargeldlose Gesellschaft noch immer in weiter Ferne. Wie lange wird es denn in Deutschland noch dauern?

Med Ridha: Es wäre einfacher, diese Frage für ein Land wie Italien bzw. für ein südeuropäisches Land zu beantworten. Das bargeldlose Bezahlen ist dort weit fortgeschritten, der Trend Mobile Payment eher angenommen. In Deutschland hingegen spielt Bargeld nach wie vor eine große Rolle. Ich gehe aber davon aus, dass wir alle sehr überrascht sein werden: Plötzlich wird jemand eine Lösung vorstellen, eine innovative Geschichte, die vom Kunden wirklich angenommen wird – und dann wird alles recht schnell gehen. Sozusagen ein Apple-Pay Ansatz, der beim Kunden auch ankommt. Momentan sehe ich aber nicht, dass wir in den nächsten zwei bis drei Jahren eine bargeldlose Gesellschaft haben werden. Gleichzeitig dürfen wir aber nicht vergessen, dass eine Generation von Digital Natives heranwächst.

Die Digital Natives werden die Entwicklung also vorantreiben?

Med Ridha: Im Prinzip schon, denn als Immigrant Natives sind wir nicht mit diesen Dingen aufgewachsen und stehen neuen Technologien eher skeptischer gegenüber. Wir sehnen uns zum Beispiel berechtigterweise nach einem Sicherheitsgefühl. Ich sehe bei den Digital Natives aber auch ein Problem, denn bestimmte Voraussetzungen müssen einfach erfüllt sein. Dazu gehört: die Technik muss für alle preiswert und zugänglich sein. Wenn du heute ein iPhone bestellst, dann zahlst du im Monatsabo eine ordentliche Summe dafür. Und wenn wir beim Mobile Payment auf die Digital Natives setzen, dann müssen diese sich die damit verbundene Technik auch leisten können. Darüber hinaus gilt für beide Gruppen, die Immigrants und die Natives: Wenn ich schon mit meinem Mobiltelefon bezahle, dann möchte ich das überall machen und ich möchte es vor allem überall machen können. Die Technik muss in den Alltag integriert sein: branchen- aber eben auch länderübergreifend.

Und wie geht es mit dem Instant Payment Ansatz jetzt weiter?

Med Ridha: Die Idee muss noch reifen, aber: wir würden unseren Ansatz weiterverfolgen und sind positiver Dinge, dass er auf großes Interesse stoßen würde. Wir sind auf dem richtigen Weg. Auf dem BITKOM Kongress hat man gemerkt, dass sich etwas bewegt: Es kamen viele Vertreter von Banken, Beratungsfirmen, Unternehmenskunden, Politiker – der Kongress war sehr gut besucht. Die Paneldiskussionen haben sich auf einem hohen Niveau bewegt, die Vorträge waren zukunftsweisend. Und dennoch ist mir aufgefallen: In Deutschland sprechen wir immer von der Zukunft. Mobile Payment, die Digitalisierung, die digitale Gesellschaft – das alles scheint in der Zukunft zu liegen, dabei sind wir doch mittendrin. In den anderen Ländern spricht man in diesem Zusammenhang von der Gegenwart – zu Recht! Jiffy bspw. ist bereits „up and running“. Hierzulande reden wir über Sicherheitsmaßnahmen, über womöglich fehlende Akzeptanz. Das ist alles richtig und wichtig, nur dürfen wir dabei den Kundennutzen, die Customer Experience, nicht aus den Augen verlieren. Wir sprechen auch nicht von dem, was wir bereits gemacht haben, sondern immer nur darüber, was wir in der Zukunft tun werden.

Und in anderen Ländern ist das nicht so?

Med Ridha: Das klassische Beispiel ist Italien. Natürlich waren die Voraussetzungen für die Einführung von Jiffy dort von vornherein gegeben: In Italien bekommt man das Gefühl, dass wirklich jeder mindestens zwei iPhones besitzt und man geht auch mit Sicherheitsbedenken und mit Datenschutz ganz anders um. Und auch, wenn die Voraussetzungen hierzulande anders sind und bestimmte Bedenken ihre Berechtigung haben, können wir viel von der Vorgehensweise anderer Länder lernen. In Italien, in den USA, usw. probiert man einfach aus. Wenn es funktioniert, super. Wenn nicht, dann eben nicht. In Deutschland wollen wir immer erst alles perfekt machen. UBI Banca Group in Italien hat eben einfach mal gemacht: einen Mehrwert für die Kunden – und nur für die Kunden geschaffen und P2P angeboten und jetzt ziehen die anderen Banken tatsächlich nach.

Weil die Kunden dort auch soweit sind, das anzunehmen?

Med Ridha: Ja. Damit wären wir wieder beim springenden Punkt: Einige Experten hatten auf der BITKOM Konferenz betont, dass der Kunde heute schon zahlen kann. Dafür braucht er kein Smartphone. Was wir also machen ist, die Zahlung zu vereinfachen, zu standardisieren. Das reicht als Mehrwert aber eben nicht. Der Kunde will weitere Dienste, wenn er schon sein Handy zückt. Er möchte Tickets im Smartphone haben und es soll verbunden sein mit der Wallet, die er für seinen Zahlungsverkehr nutzt. Die Akzeptanz, davon bin ich überzeugt, steigt dann, wenn ein standardisierter Ansatz angeboten wird, bei dem verschiedene Dienste neben dem Zahlungsverkehr einen echten Mehrwert liefern.


Die Präsentation zum Vortrag von Med Ridha Ben Naceur am 17. Juni während der BITKOM Konferenz “Bargeldlose Gesellschaft” in Berlin finden Sie hier:

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