Kernbankensysteme: Standardlösung oder Eigenentwicklung?

Neue Prozesse, neue Rollen und andere Aufgabenverteilungen – die Modernisierung der IT-Infrastruktur stellt die Finanzinstitute vor erhebliche Herausforderungen. Hinzu kommt die Frage, welche Lösung beim Kernbankensystem denn eigentlich die Richtige ist. Standardlösung oder Eigenentwicklung? Es kommt wie immer darauf an… Claus Heller, Principal Consultant der GFT Technologies AG, hat mit GI Geldinstitute über die Faktoren gesprochen, an Hand derer Banken sich für die optimale Strategie entscheiden sollten.

Claus Heller GFTFrage: Kernbankensysteme sind das digitale Herz einer Bank. Nicht jede Transplantation eines neuen Standardsystems gelingt, um im Bild zu bleiben. Wieso?

Claus Heller: Ja, das passiert tatsächlich immer mal wieder. Letztlich wurden in den meisten Fällen bei der Auswahl des neuen Systems Fehler gemacht, die bei gründlicherer Vorbereitung nicht passiert wären.

Das Projekt steht und fällt also schon mit der Wahl des Systems?

So kann man das sagen. Gerade bei einer Standardlösung ist die Auswahl der Dreh- und Angelpunkt. Banken müssen sicherstellen, dass die Software zum Geschäftsmodell und zur Zielgruppe passt. Die Anbieter legen in ihren Produkten unterschiedliche Schwerpunkte. So ist zum Beispiel ein Produkt stark im Online-Banking, das andere im Zahlungsverkehr. Ein Drittes ist besonders gut geeignet für die Abwicklung von Wertpapier-Transaktionen und damit für das Geschäft mit vermögenden Privatkunden. Es ist also wichtig, dass die Bank eine für sie geeignete Plattform mit entsprechenden Funktionen wählt.

Aber es gibt doch mehr Geschäftsmodelle als Standardlösungen. Für jedes Institut kann es dann doch gar nicht eine passende Software geben oder?

Es gibt natürlich auch viele Spezialbanken, zum Beispiel im wohnwirtschaftlichen Bereich oder im Leasinggeschäft. Manch ein Unternehmen betreibt eine kleinere Bank für die Finanzierung der eigenen Verkäufe. Trotzdem: Die Standardlösungen, die heute am Markt sind, decken sehr viele Geschäftsmodelle ab. Das Problem ist ein anderes: Es ist für eine Bank im Vorfeld recht schwierig, exakt herauszuarbeiten, welche Funktionalitäten nötig sind und vor allem in welcher Qualität sie gebraucht werden. Das kann dazu führen, dass schon in der Angebotsphase die Weichen falsch gestellt werden.

Ist es dann nicht doch einfacher, eine eigene Software zu erstellen?

Das muss jede Bank für sich entscheiden. Große Banken werden immer das IT-Know-How und die Technologie im Haus haben wollen, um deren Vorteile zu verstehen und daraus Wettbewerbsvorteile zu ziehen – sie können es sich auch leisten. Aber die Umstellung auf eine Standardsoftware wäre auch schwierig, weil die verschiedenen Bereiche ganz unterschiedliche Anforderungen an das System haben. Da stoßen Lösungen von der Stange schnell an ihre Grenzen.

Bei den kleineren Instituten sieht das anders aus?

Ja. Ein Beispiel: Die sich ständig ändernden regulatorischen Anforderungen sind für alle Banken eine Riesenherausforderung. Die IT-Abteilungen kleinerer Banken sind für die fast ständig neuen Anpassungen gar nicht ausgelegt. Sie sind mit einer Standardlösung gut beraten, die ihren Bedarf unterstützt und bei der sie die Gewissheit haben, dass sie dem entspricht, was der Gesetzgeber verlangt – und das zum Festpreis. So kann sich die Bank auf ihre Kernkompetenz konzentrieren.

Worauf müssen Banken denn bei der Auswahl einer Standardsoftware achten?

Wichtig ist, dass die Technik die Möglichkeit zur Differenzierung hergibt – dass die Banken also die Möglichkeit haben, sich vom Wettbewerb zumindest ein Stück weit abzuheben; etwa in der gezielten Kundenansprache. So sollte zum Beispiel die Produktpalette schnell und individuell anpassbar sein. Das ist bei Eigenentwicklungen und älteren Systemen übrigens manchmal schon gar nicht mehr der Fall. Diese Möglichkeiten bringen die modernen Systeme fast alle mit. Je nach Zielkundengruppe ist auch die Anbindung von mobilen Vertriebskanälen ein wichtiges Auswahlkriterium.

Ist es egal, ob man sich an einen deutschen oder internationalen Hersteller wendet?

Nein. Die nationalen Märkte haben immer ganz besondere Anforderungen, das fängt bei gesetzlichen Regularien oder dem Meldewesen an. Aber auch bei Geschäftsusancen und Kundenerwartungen unterscheidet sich der deutsche Markt von anderen internationalen Märkten. Programme, die zwar international von vielen Instituten eingesetzt werden und auch erfolgreich sind, können in diesem Fall lückenhaft sein. Spezielle Anforderungen nachträglich zu integrieren ist aufwändig und kann schnell zu Problemen führen, weil dem Hersteller das Know-how oder sogar das Verständnis für diese Anforderungen fehlt.

Dabei weisen doch die Hersteller darauf hin, dass die Programme im Nachhinein angepasst werden können.

Dabei besteht aber immer die Gefahr, dass sich der Projektcharakter verändert. Man kann zwar jede mögliche Funktion nachträglich einbauen, aber wenn der Umfang der Änderungen zu groß wird, dann wird aus einem Customizing-Projekt schnell ein Projekt, das im Grunde schon eher einer Eigenentwicklung entspricht.

Ist das so schlimm?

Sie sprengen dann schnell den Zeit- und Kostenrahmen. Außerdem wird das Risiko des Scheiterns immer größer, je stärker die Standardlösung individualisiert wird. Der Charakter des Projekts ändert sich nachhaltig und das erforderliche Know-how ist ein ganz anderes, da dann beispielsweise auch Architekturentscheidungen getroffen werden müssen. Es stellen sich auch neue Fragen in Bezug auf die zukünftige Wartung der neuen Funktionalität oder zu den Zuständigkeiten. Und das ist ja gerade das, was die Käufer einer Standardsoftware vermeiden wollen.

Wenn ich also Standard kaufe, sollte es auch dabei bleiben.

Genau. Ist eine bestimmte Anforderung bei einer Software nicht oder nur schwer umsetzbar, sollte die Bank sich fragen, ob diese Funktion wirklich wichtig ist oder ob sie darauf verzichten kann. Banken müssen bei Standardlösungen bewusst Kompromisse eingehen. Und wenn eine Software für die Bank wichtige Funktionen nicht bietet, ist es wahrscheinlich das falsche Produkt.

Mal abgesehen von der Auswahl des Programms. Wie kann eine Bank noch sicherstellen, dass das Projekt gelingt?

Die Umstellung des Kernbankensystems auf eine Standardsoftware ist ein umfangreicher Change-Prozess, der das gesamte Institut betrifft. Nicht nur die Herausforderungen für die IT-Abteilung sind enorm, auch für die Fachbereichsmitarbeiter ändert sich viel. Sie müssen von vornherein wissen, was sie in und nach so einem Projekt erwartet. Wenn nicht kommuniziert wird, in welche Richtung es geht, kann es schnell zu einer verstärkten Mitarbeiterfluktuation führen.

Wer steuert idealerweise das ganze Projekt?

Am besten wird die Umstellung von einem kleinen schlanken Team durchgeführt, das aber hochkarätig besetzt ist mit Experten, die sowohl die IT als auch das Bankgeschäft kennen. Sie können am besten die Reibungsverluste zwischen der Fach- und IT-Seite abfedern und hier auch gleich Probleme aufdecken.

Kann das auch jemand von außen machen?

Natürlich. Viele Institute haben für das Gesamtprojekt einen externen Ansprechpartner in Form eines Generalunternehmers. In der Regel ist das der Anbieter einer Software. Der engagiert dann die notwendigen zusätzlichen Dienstleister, die mit ihm zusammen im Verbund auftreten. Das hat den entscheidenden Vorteil, dass es klare Vertragsverhältnisse und Verantwortlichkeiten gibt.

Ist es denn sinnvoll, einen Software-Anbieter als Generalunternehmer zu engagieren? Sie sagten, das wichtigste ist, erstmal zu klären, welches Programm das richtige ist.

Die beiden Phasen würde ich trennen. Natürlich findet jeder Softwarehersteller sein eigenes System am besten. Am Anfang braucht es da schon einen Dienstleister, der den Markt kennt, die Bank neutral und unabhängig berät und bei der Auswahl der richtigen Lösung unterstützt. Geht es dann aber an die Implementierung, kann auch der Hersteller das Projekt leiten.

Gibt eine Bank im Zuge der Umstellung auf eine Standardlösung nicht zu viel eigene IT-Kapazität auf?

Durch den Umstieg auf eine Standardlösung gehen Institute ganz bewusst den Weg, IT abzubauen. So machen sie sich unabhängig von einer eigenen IT-Abteilung, für die sie das entsprechende Know-how regelmäßig akquirieren und vor allem halten müssen. Dafür begeben sie sich aber in ein Abhängigkeitsverhältnis zum Anbieter. Als wichtiger Erfolgsfaktor gilt hier die entsprechende Vertragsgestaltung, bei der die Risiken gleichmäßig verteilt sind.

Dafür wiederum müssen eigene Kapazitäten verbleiben, oder?

Ja. Das Providermanagement ist ganz wichtig. Die Bank braucht Leute, die mit dem Provider sprechen, Tranchen aushandeln und Verträge gestalten sowie letztendlich das gesamte Projekt überwachen und die Zusammenarbeit mit den Dienstleistern steuern. Es gibt also neue Prozesse, neue Rollen und andere Aufgabenverteilungen im Institut.

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